
Der Autor als Kauz: Pierre Deason-Tomory im Selbstportrait auf einem Bahnsteig.
Weimar. Nicht alles ist schlecht an Corona. Die Krise bietet uns jetzt immerhin die Chance, endlich ein Buch vom alten Deason, 51, in die Hand zu nehmen. Nun ja, ein Büchlein eigentlich nur. Aber immerhin. Es ist ein Anfang. Und mit dem Anfangen kennt er sich aus. Mit dem Bald-wieder-Aufhören aber auch.
Pierre Deason-Tomory, DeutschAmerikaner, hat ein Corona-Tagebuch geschrieben und es zunächst bei Facebook veröffentlich sowie mitunter im Feuilleton der linken Splittergruppen-Postille Junge Welt. Inzwischen brachte es der Weimarer Eckhaus-Verlag heraus und setzte sich damit die Corona auf: den Siegerkranz für die erste literarische Neuerscheinung zur Krise.
Diese Schrift der Spötter beginnt am 14. März in der Kulturhauptstadt Weimar, wo Deason zu Hause ist, und geht am 12. April, Ostersonntag, in der „Absteigerhauptstadt“ Nürnberg, woher er stammt, schon wieder zu Ende: weil ihm angeblich „ohne neue eigene Eindrücke aus dem wirklichen Leben außerhalb der eigenen vier Wände“ der Stoff auszugehen drohte.
Das passt zu ihm. Deason ist ein Kauz, unstet und unberechenbar. Er hat das regelrecht kultiviert, zunächst in seiner Vergangenheit als Radiomoderator: DT 64, Radio Hamburg, Kiss FM. Er war einer der Besten, für mich der Beste. Doch binnen 20 Jahren schaffte er es auf 14 Sender in sechs Städten. Irgendwie muss er das mit dem Leben auf der Ultrakurzwelle anders verstanden haben. Bei Antenne Thüringen flog er 1999 raus, was für ihn und gegen den Sender spricht. Er hatte Hörern am Tag vor der Osternacht von Jesus‘ letzten Worten am Kreuz berichtet: „Mehr Nägel, ich rutsche!“
Einst Radiomoderator, dann Stadtrat, heute Hersteller von Gebrauchsprosa
Das Finale dieser Karriere führte ihn zu Radio Lotte Weimar, wo wir Kollegen und auch Partner vor dem Mikrofon waren. Er kam und ging und kam und ging wieder … Zwischendurch verschwand er nach Chicago, wohin das Tagebuch unter anderem abdriftet: „Ich konnte weglaufen, wohin ich wollte“, hält er fest, „ich kam nirgend an.“Das spricht sozusagen von der Einsamkeit des Kurzstreckenläufers. Bevor er „Hersteller von Gebrauchsprosa“wurde, „in der Weimarer Textindustrie“, absolvierte Deason, laut ironischer Selbstauskunft, „eine Durststrecke als gewissenloser Politik-Funktionär“. Ein Jahrzehnt lang saß er etwa im Weimarer Stadtrat: erst für die Linke, dann für die lokale Abspaltung Neue Linke, schließlich für die SPD. Ein undogmatischer Linker jenseits der Parteiprogramme ist er immer geblieben, ein Funktionär nie geworden. Ein politischer Kopf durch und durch, doch kein Politiker im eigentlichen Sinn.
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