Ein Lebenswerk, mit Wurzeln tief …
Werner Voigt, UNZ 16. Juli 2014
Ein bewegendes Buch. Gewiss auch für viele Ältere. Sie erinnern sich an Entdeckungen in ihren Kindertagen, als sie Helds Kinderbücher aus dem Weimarer Knabe-Verlag (allein in den 60er Jahren neun Buchtitel!) lasen. Und Millionen waren ergriffen von erzählten Menschenschicksalen, zu denen er Filmszenarien geschrieben hatte. Aus manchen formte Held später Romane oder Erzählungen. Außerordentlich erfolgreich, auch international: „Einer trage des anderen Last“ (DEFA, 1988). Ein Kommunist und ein Vikar können am Ende miteinander gut auskommen. Ein wunderbares Hohelied auf Opferbereitschaft, Liebe und Toleranz!

Schriftsteller Wolfgang Held stellte am 10. Juli seine Autobiografie in Weimar vor.
Weggefährten? Herausgehoben werden Fürnberg (1909-1957) und Victor (1895-1971), Apitz (1900-1979) und Janka (1914-1994), ihnen folgen die langjährigen engen Freunde Müller (1928-2005) und Thürk (1927-2005) sowie Strittmatter (1912-1994) und Stranka (1920-1993).
Der 1930 in Weimar Geborene eröffnet uns in seinem letzten Buch (der gerade erst gegründete Eckhaus Verlag Weimar hat es als Starttitel herausgebracht) erregende, tiefe Einblicke in seine kindlichen Gefühle in seiner Großfamilie und später als Jugendlicher vor und nach 1945. Kinder empfinden ja sehr früh erstaunlich sensibel. So gegenüber seinem Onkel Rudi, der Kommunist ist. Dieser kümmert sich rührend um Wölfchen. Sympathien wachsen. Anderen gegenüber weniger oder gar nicht. Kinder entwickeln recht früh ein untrügliches Gefühl für Gerechtigkeit. Und dies wird sein ganzes Leben hindurch so bleiben. Wolfgang verinnerlicht soziale Spannungen innerhalb der Familie, deren Ursachen er erst später verstehen lernt. Unter der Zeit der Nazi-Herrschaft muss er – zum Schutz der Familie – nach außen hin oft schweigen, um keinen zu gefährden.
Die zehn kleinen Prosastücke des Buches dringen zu den Wurzeln der persönlichen Weltanschauung des Autors vor, zu „Wurzeln tief, daß sie kein Spaten sticht“. Es ist ein Zitat aus Louis Fürnbergs berühmten „Alt möcht ich werden …“, an das Held anknüpft. Dem Dichter und Kämpfer für eine menschliche Welt verdankt er Mitte der 50er Jahre in Weimar wesentliche künstlerische Erkenntnisse und Impulse. Herausgeber Ulrich Völkel hat gemeinsam mit Held eine geglückte Struktur des Erinnerungsbuches entwickelt, die viele Lebens- und Schaffensbereiche erfasst. Nach biografischer Kurzprosa folgen knappe, aber außerordentlich prägnante Texte zu Begegnungen mit Weggefährten, dann Ausschnitte aus verschiedenen Reise-Tagebüchern (von Ungarn 1961 bis Ägypten 1988), Fotos und Dokumente sowie Leseproben aus den Romanen „Einer trage des anderen Last“ und „Die gläserne Fackel“.
Sie werden hier hervorragend und ehrlich skizziert in ihren Eigenarten, wobei die jeweilige literarische Praxis und die ästhetischen Ansichten durchaus recht unterschiedlich, ja manchmal gegensätzlich sind. Was der Freundschaft keinen Abbruch tut! Man respektiert sich gegenseitig. Hervorstechend: die ehrliche Bewunderung des Spanienkämpfers, Kommunisten und Verlegers Walter Janka. Dieser hatte schon zeitig Helds Filmprojekt zu „Einer trage des anderen Last“ unterstützt und mit durchgesetzt (leider dauerte dann die Realisierung nahezu 15 Jahre).
Großen Dank verdient Ulrich Völkel, der auf seine reichen Erfahrungen, u.a. bei der Herausgabe des Buches „Harry Thürk – Sein Leben – Seine Bücher – Seine Freunde“ (Mitteldeutscher Verlag 2007), gemeinsam mit Hanjo Hamann und Steffen Wogawa, zurückgreifen konnte. Das jetzt vorliegende Held-Buch ist spannend durch die vielen biografischen Mosaik-Steinchen und die Vielfalt der literarischen Zeugnisse. Man kann sogar sagen: Es ist wie ein Lesebuch für unsere Zeit, nämlich die Geschichte des 20. Jahrhunderts tiefer zu verstehen. Gerade die jüngeren Leser-Generationen von heute, die nicht viel wissen über die Nazi-Zeit und die DDR, können hier ein unverzerrtes, ungeschminktes, grundehrliches Bild der Zeiten zwischen 1930 und 1990 gewinnen. Sie können entdecken, wie facettenreich erzählt wird und warum sich Held zu seiner Grundüberzeugung als Kommunist bekennt. Das berührt. Und das sage ich hier als eine „Leseratte“, die ihn seit über viereinhalb Jahren persönlich kennt.
Wolfgang Held, „Ich erinnere mich“, herausgegeben von Ulrich Völkel, Eckhaus Verlag Weimar 2014, 208 Seiten Preis: 19,95.
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