Der Journalist und ARD-Korrespondent Jörg Armbruster hat unsere Neuerscheinung „Wenn jemand anruft, sagt, ich bin tot“ (Emanuel Rosen) gelesen und zeigt sich tief beeindruckt. Er schreibt:

Warum ich Emanuel Rosens Buch „Wenn jemand anruft, sagt, ich bin tot“ wichtig finde

Buchumschlag Wenn jemand anruft sagt ich bin totEs hat lange gedauert, bis sich die Deutschen ihrer Nazi-Vergangenheit gestellt haben. Viel zu lange. Verdrängen und Leugnen gehörte über Jahrzehnte nach Kriegsende zum bundesdeutschen Alltag. Und es waren nicht nur einzelne Deutsche, die sich nicht mehr erinnern wollten. Täter zum Beispiel, die ihre Verbrechen schlicht abstritten oder Profiteure der Judenverfolgung, die sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnten, dass sie in Wohnungen lebten oder Geschäfte führten, die die Nazi-Diktatur zuvor jüdischen Vorbesitzern geraubt hatte. Genauso litten staatliche Institutionen nach dem 8. Mai 1945 schlagartig an Gedächtnisschwund, an einer weit verbreiteten Amnesie, die zur ersten geradezu pandemischen Volksseuche der neuen Republik werden sollte. Niemand wollte sich erinnern, niemand wollte es gewesen sein.

Daher ist es zwar bedauerlich, dass es auch heute noch – 76 Jahre danach – in erster Linie Erinnerungsbücher von Opfern sind, die an die Schrecken der Nazizeit erinnern und nicht etwas Bekenntnisse der Täter. Die schweigen und verschweigen nach wie vor.

Das aber macht solche Bücher umso wichtiger. Ein solches Zeugen-Buch ist die Geschichte, die Emanuel Rosen aufgeschrieben und mit dem irritierenden Titel „Wenn jemand anruft, sagt, ich bin tot“ veröffentlicht hat. Der Untertitel hilft ein wenig, die Absicht des Buches zu verstehen. Er lautet: „Eine Familie kämpft um Identität und Würde“. In diesem Fall geht es um die aus Hamm in Westfalen stammende jüdische Familie Rosen, von der einige Mitglieder rechtzeitig 1933 in das britisch verwaltete Palästina auswandern konnten, dort aber nie heimisch wurden. Vertriebene ein Leben lang. Für einen endet die nicht enden wollende Heimatlosigkeit gar in Selbstmord. Lange nach der Gründung des Staates Israel. Es ist der Großvater des Autors, der die gewaltsame Vertreibung nie überwunden hat.

Diesem Schicksal geht der Autor nach, besonders treiben ihn zwei Fragen um: Warum haben die Großeltern 1956 Deutschland besucht, obwohl für Israelis damals eine Reise in das Land der Mörder verpönt wie kaum etwas anderes, ja sogar verboten war. Und natürlich: Warum hat sein Großvater Suizid begangen? War es eine Spätfolge der erbarmungslosen Ausbürgerung 1933?

Rosen erzählt die Ergebnisse seiner Recherchen einfühlsam, spannend, gelegentlich auch mit Ironie und Humor. Er klagt nicht an, selbst dann nicht, wenn er es mit Alt-Nazis in der jungen Bundesrepublik zu tun hat. Es ist ein starkes und bewegendes Buch. Wer etwas über die bigotten Erinnerungsschwächen vieler Deutscher während der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik erfahren will, wer sich für das mühevolle Leben während der ersten Jahre im neuen Staat Israel interessiert jenseits des Palästinenserkonflikts, wer vielleicht auch noch sein eigenes Geschichtsverständnis einmal hinterfragen will, dem sei das Buch dringend empfohlen.

Jörg Armbruster, Stuttgart, 26.6.2021
Autor u.a. „Willkommen im gelobten Land? Deutschstämmige Juden in Israel“, 2016, Hoffmann und Campe, Hamburg

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