Radio Lotte – 04. März 2015

Buchrezension „Das ferne Grab“ von Ulrich Völkel

Buchcover Das ferne Grab

Im Eckhaus Verlag Weimar ist kürzlich ein Buch erschienen, welches siebzig Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges noch einmal einen Blick auf die Geschichte wirft – eine sehr persönliche Geschichte allerdings.
Ulrich Völkel hat es geschrieben und es trägt den Titel „Das ferne Grab“. Preis: 12,80€. Shanghai Drenger hat es gelesen.

Die Geschichte des 2. Weltkrieges, so setze ich mal voraus, ist weitestgehend bekannt. Auch die Geschichte der Schlacht bei Stalingrad. Doch diese Geschichte auch aus einer sehr persönlichen Sicht zu erzählen, das ist nicht unbedingt üblich. Zwar wurden in den letzten 50 Jahren vielerlei Erlebnisberichte weitergereicht, in Dokumentationen, in teils fragwürdigen Geschichtsheften usw., Ulrich Völkel, der im Thüringer Vogtland geborene Autor dieses Buches allerdings, geht dieses folgenschwere Kriegsereignis von einer ganz privaten Seite aus an.

Im Dezember 1942 kam sein Vater Ludwig Völkel bei Kämpfen nahe der Stadt Rossoschka ums Leben. Der überzeugte Wehrmachtssoldat hinterließ in Deutschland eine Frau und drei Söhne.

Erst im Sommer 1943, also über ein halbes Jahr später erfährt die Mutter, Elisabeth Völkel, ganz offiziell vom Tod ihres Mannes.
Fortan muss sie als alleinerziehende Mutter über die Runden kommen, kommt mit ihren Kindern bei einem Bauern auf dem Land unter. Alles was ihr von ihrem Mann bleibt, sind ein paar wenige Briefe, welche sie von ihm von der Front erhielt und einige eigene Briefe, die ihn niemals mehr erreicht haben.

Die Geschichte, die der Autor nun in diesem kleinen Geschichtsbuch erzählt, setzt allerdings erst in der jüngsten Zeit an, nach der Jahrtausendwende, zu einem Zeitpunkt, wo alles Geschehene bereits weit zurück liegt und dennoch immer noch nicht verarbeitet ist.
Trotz der amtlichen Gewissheit, der Vater ist gefallen, kann die Mutter viele Jahre lang nicht wirklich glauben, dass es so ist. Schon oft kamen längst Totgesagte doch noch wieder zurück. Warum also nicht auch der geliebte Mann?

Elisabeth Völkel wusste es zwar anders, hat aber viele Jahre lang immer noch gehofft, bis sie eines Tages, nach dem Ende der DDR, ein Foto vom Soldatenfriedhof bei Rossoschka in den Händen hielt, auf dem auf einem Gedenkstein unter vielen anderen auch der Name ihres Mannes stand. Dort gewesen ist sie nie.

Der Autor lässt sie aber dennoch diese Reise unternehmen. Im Gefüge einer Reisegruppe von weiteren Soldatenwitwen, viele davon aus Westdeutschland, erlebt sie fiktiv, wie es sich anfühlt erstmals im Leben nach vielen, vielen Jahren an das Grab ihres Mannes zu treten.
Die Protagonistin geht aber nicht nur als trauernde Witwe an das Grab, sondern reflektiert schon auf der Reise die Geschichte, stellt fest, dass sich ihr Mann zum Zeitpunkt seines Todes auf einem Fleckchen Erde befand, auf dem er eigentlich nichts zu suchen hatte. Schon gar nicht mit einer Waffe in der Hand. War er doch mitschuldig am großen Elend, welches das Nazi-Regime über die Welt gebracht hat?

Vielleicht ist es so, denkt sie, und versteht, dass es auch auf der anderen Seite Witwen gibt. Die anderen Mitglieder der Reisegruppe können das nicht unbedingt nachvollziehen. Und überrascht ist sie, als sie erfährt, dass es für die russischen Soldaten noch lange keinen Friedhof gab, selbst als die Soldaten des Aggressors bereits einen Ruheort gefunden hatten.

Feinfühlig führt der Autor die Leser in und durch die Geschichte. Begleitet von den wenigen erhalten gebliebenen Briefen und Dokumenten und flankiert von einem Gedichtzyklus über die Kindheit der Waisenjungen gerät dieses Buch zu einem beachtenswerten Geschichtsdokument, welches weitab von pädagogischem Fingerzeig liegt.

(Shanghai Drenger)