MDR THÜRINGEN JOURNAL – 5. Mai 2015
Der MDR THÜRINGEN-Buchtipp der Woche „Amsterdam 1994“
Sie sind um die Welt gegangen: die Tagebücher von Anne Frank. Übersetzt in 70 Sprachen, gehört das Werk zu den wichtigsten der Literatur über den Holocaust. Aber nicht nur Anne Frank hat ihre Geschichte zu erzählen. Auch ihre Stiefschwester Eva Schloss hat nun ein Buch über ihr Leben im Krieg veröffentlicht.
Eva Schloss ist erst nach dem Tod von Anne Frank, 1953, ihre Stiefschwester geworden. Da heiratete Anne Franks Vater Otto Evas Mutter. Anne und Eva kannten sich zwar. Sie wohnten sich in Amsterdam gegenüber. Wirklich Freundinnen sind die beiden aber nie gewesen.
Auch Evas Familie wurde von den Nazis verfolgt und musste untertauchen. Und wie bei Anne Frank wird auch Evas Versteck verraten. Die Familie wird nach Ausschwitz abtransportiert. Eva Schloss beschreibt zwar ihren Aufenthalt in Ausschwitz und die Befreiung durch die russische Armee. Viel zentraler ist allerdings die Geschichte der Familie vor und nach Ausschwitz.
Eva Schloss
Eva Schloss ist am 8. Mai auch in der MDR-Sendung „Unter uns“ zu Gast.
Bereits 1938 ziehen sie von Wien nach Amsterdam. In dieser fremden Umgebung ist Evas Familie ihr Halt. Besonders der ältere Bruder liegt ihr am Herzen. Sie berichtet, wie sie trotz der erschwerten Bedingungen für Juden eine schöne Kindheit erlebte. So malt ihr Bruder zum Beispiel das Märchen von Schneewittchen, als der Disney-Film in die Kinos kommt, denn ein Kinobesuch ist den Juden verboten. Das Buch ist also vielmehr die Geschichte einer jüdischen Familie und deren Zusammenhalt in den Jahren der Verfolgung. Auch die Zeit nach dem Krieg spielt eine große Rolle.
Eva war gerade mal 15 Jahre alt, als sie nach Auschwitz kommt. Tatsächlich hofft Eva kindlich darauf, dass alles wieder so wird wie vorher. Aber nach Auschwitz, angekommen in der alten Wohnung in Amsterdam, erreicht Mutter und Tochter die Nachricht über den Tod von Vater und Bruder. Evas Welt bricht erneut zusammen. Sie hat nicht mehr die Kraft, das Erlebte zu verarbeiten, zieht sich auch von ihrer Mutter zurück. Sie erzählt, wie sie jegliche Lebenslust verliert, das allerdings in einem überraschend nüchternen Ton.
Cover des Buches: Eva Schloss – „Amsterdam 11. Mai 1944“
Das Buch erzählt die Geschichte der heute 85-Jährigen.
Es ist Otto Frank, der die schüchterne junge Frau 1950 schließlich nach London schickt. Dort wird sie Fotografin, fühlt sich ihrem künstlerisch begabten Bruder somit verbunden. Sie lernt ihren Mann kennen und beginnt ein neues Leben in der lebhaften Großstadt. Dennoch vergehen noch weitere 16 Jahre, bis sie schließlich während der Eröffnung der ersten Anne-Frank-Wanderausstellung in London das erste Mal über ihr Leben spricht.
Das Buch ist eines von vielen Werken über den Holocaust, ist aber deshalb nicht überflüssig. Eva Schloss, die heute Vorträge hält, Lesungen gibt und sich die Aufklärungsarbeit zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat, erzählt mit kurzen, knappen Sätzen ihre Geschichte. Sie schmückt nicht aus, sie bittet nicht um Mitleid, sie klagt nicht an. Sie erzählt einfach, was sie erlebt hat und wie sie trotz allen Übels auch immer noch Lichtblicke in ihrem Leben finden konnte. Und genau deshalb ist ihre Geschichte auch lesenswert.
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