Aus Schmerz oder aus Freude

Wolfgang Held zählt zu den wichtigsten Filmautoren der Defa und des DDR-Fernsehens. Und er ist wohl einer der produktivsten Thüringer Schriftsteller. Nun legt er ein Erinnerungs-Buch vor.

Von Landolf Scherzer, Freies Wort 25. Juli 2014

Wolfgang Held in Weimar

Es gibt Bücher, die ich nicht in gewohnter Weise analysieren und kritisieren oder loben – also rezensieren – kann. Eines davon ist das soeben erschienene Buch von Wolfgang Held „Ich erinnere mich. Aufzeichnungen, Reisen und Tagebücher“. Nicht weil es die „Erstgeburt“ des Eckhaus-Verlages in Weimar ist und deshalb pfleglich behandelt werden sollte, sondern weil das Buch als Lebenszeugnis des mir vertrauten und verehrten Schriftstellerfreundes herausgegeben worden ist.

Zur Premiere am 10. Juli war Wolfgang Held trotz schwerster unheilbarer Krankheit noch einmal selbst gekommen. Er konnte zwar nicht mehr aus seinem Buch vorlesen – das übernahm der Weimarer Schauspieler Steffen Quasebarth – doch er konnte seine Verehrer, seine Freunde und Weggefährten (über 100 waren gekommen) begrüßen. Und er nahm in vielen Umarmungen vorzeitige Gratulationen zu seinem zwei Tage später folgenden 84. Geburtstag entgegen. In all den Gedanken und Worten (auch in der Laudatio des Sozialisten und Christen Bodo Ramelow) schwang das Lebensmotto, das Wolfgang Heldt in seinem weltbekannten Film „Einer trage des anderen Last“ künstlerisch umgesetzt hat: Die Toleranz dem Andersdenkenden gegenüber.

Auch in seinem Erinnerungsbuch, das Jugenderlebnisse, Tagebuchaufzeichnungen, Reisenotizen und Nahaufnahmen seiner Weggefährten und Freunde (unter anderem Luis Fürnberg, Walter Janka und Erwin Strittmatter) vereint, wird diese Toleranz immer wieder beschworen. „Kairo, 13. Dezember 1988: Heute erlebte ich unseren Film arabisch synchronisiert und hatte Zweifel, ob das Publikum Handlung und Anliegen versteht. Das zwei Tage zuvor von einer fundamentalistischen Zensur ausgesprochene Verbot der Aufführung und die kurzfristige Rücknahme hatte für einen gegen alle Regeln völlig überfüllten Saal gesorgt. Und dann die Überraschung bei der Pressekonferenz. Ein ägyptischer Journalist: ‚Für uns ist dieser Film ein Plädoyer für Toleranz zwischen Palästinensern und Israelis.'“

In diesem Zitat bewahrheitet sich auch die Weitsicht und Zuversicht, die Wolfgang Held schon in seinen DDR-Aufzeichnungen (von 1974 bis 1989) formulierte und die heute immer noch und wieder gültig sind: „29. März 1985: Manche Leute fordern Freiheit, wenn sie Freibier meinen.“ Oder „25. November 1974: Es ist irrig, von der Annahme auszugehen, dass die Zahl der Blödiane und charakterliche Kretins in der Arbeiterklasse prozentual geringer sei als in allen anderen, vor ihr herrschenden Klassen. Alles, was ein Mensch ernsthaft will, kann er auch schaffen, freilich ebenso im destruktiven Sinn. Oft ist es nur die Winzigkeit des Flohes, die imstande ist, einen Menschen in Raserei zu treiben.“ Oder „11. Juli 1976: Die Natur hat mit ihren Gesetzen und Möglichkeiten den Menschen zu einer Vollendung reifen lassen, die ihn scheinbar in die Lage versetzt, sich mit seinen Gesetzen und Möglichkeiten an ihr rächen zu können. Welch ein Irrtum.“

„Ich erinnere mich“ – eine Fundgrube für sein und für andere Leben. Danke, das du, lieber Wolfgang, nicht nur behauptet hast: „Es gibt nur zwei Gründe zu schreien oder zu schreiben – aus Schmerz oder aus Freude!“, sondern es getan hast.

Wolfgang Held: „Ich erinnere mich“ – Eckhaus-Verlag Weimar 2014