Das geschieht häufig: Man kennt den Titel eines Buches, aber den Namen des Autors hat man vergessen. Noch häufiger widerfährt das Szenaristen: Man kennt den Titel des Films, vielleicht noch den Namen des Regisseurs und einiger Akteure – aber wer hat das Szenarium geschrieben?
Der in Weimar lebenden Schriftsteller Wolfgang Held kann sich nicht beklagen. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten seiner Filme auch als Romane erschienen sind, z. B. „Einer trage des anderen Last“. Im Übrigen darf man annehmen, dass ein Autor, dessen Bücher in einer Gesamtauflage von mehr als 1,2 Millionen erschienen sind und dessen Kino- und Fernsehfilme Abermillionen gesehen haben, einem breiten Publikum auch dem Namen nach bekannt ist.
Merkwürdiger ist, dass man so wenig über die Person Wolfgang Held weiß. Er hat sich in seinem ganzen Leben nicht nach vorn gedrängelt, um allen, die es hören und sehen und lesen wollten (oder auch nicht) seinen Seelenzustand zu offerieren. Wenn er befragt wurde, redete er lieber von seinen Büchern und Filmen. Nun endlich, wenige Tage vor seinem 84. Geburtstag, erfahren wir mehr über ihn und von ihm. „Ich erinnere mich“ ist ein lesenswertes und lobenswertes Buch. Wolfgang Held erinnert sich.
Eine schwere Krankheit hat ihn gezwungen, über sich und sein weiteres Leben nachzudenken, wie es ihm in sehr jungen Jahren schon einmal widerfahren ist. Damals erkrankte der junge Polizist an TBC, die als eine Volkskrankheit grassierte und oft tödlich endete. Zwei Jahre lang teilte er, der Kommunist, mit einem ebenfalls erkrankten Vikar das Zimmer in einem Sanatorium. Wenn er die Fähigkeit, seinem Gegenüber zuhören zu können, gelernt hat, dann war es in diesem kleinen Krankenzimmer. Man unterstellt Kommunisten gern (und nicht immer zu Unrecht), dass sie betonköpfig sind, keine andere Anschauung gelten lassen, alles um der Sache willen tun. Wolfgang Held hatte früh gelernt, dass einer, der einen festen Standpunkt hat, oft unfähig ist, sich einen neuen zu erarbeiten.
Nein, das erste Mal, dass er zutiefst erschüttert nachdenken musste, lag um Jahre früher. Er war auf der Suche nach seinem geliebten Onkel Rudi 1945 an dem Ort gewesen, wohin dieser von den Nazis verbracht worden war und wo er seinem Schwager begegnete. Der trug aber keine Häftlingskleidung, sondern die schwarze Uniform eines SS-Offiziers im KZ Buchenwald. Der 15-jährige Wolfgang Held stand erschüttert vor den aufgetürmten Toten. Einer der einstigen Häftlinge legte ihm die magere Hand auf die Schulter und sagte: „Da reichen Tränen nicht.“
Dieses Entsetzen, dieser Zorn auf die Nazi-Verbrecher prägten ihn fürs Leben. Und weil Tränen nicht reichen, beschloss er, mit seiner ganzen Kraft die Urheber dieser Verbrechen zu bekämpfen und eine Wiederholung faschistischer Untaten für alle Zeiten zu verhindern. Er meldete sich zur Kasernierten Volkspolizei, einer Vorläuferin der späteren Volksarmee. Da brach die Krankheit wie ein Unwetter über ihn herein. Er war verzweifelt, hilflos, niedergeschlagen. Die Gespräche mit dem Vikar über ¬– im Sinne des Wortes – Gott und die Welt halfen ihm wahrscheinlich mehr als alle Medizin. Und schließlich fand er den Weg, den er von nun an gehen wollte. Er hatte Nikolai Ostrowskis autobiografischen Roman „Wie der Stahl gehärtet wurde“ gelesen. Er, der schon in der Schule durch seine gut geschriebenen Aufsätze aufgefallen war, beschloss Schriftsteller zu werden wie Ostrowskis Held Pawel Kortschagin, um wie dieser gegen ein schweres Schicksals anzukämpfen. Überschaut man Wolfgang Helds Leben und Schaffen, lässt sich mit Fug und Recht sagen: Er hat diesen Kampf gewonnen.
Und nun die dritte Zäsur. Vor wenigen Jahren bekam er die Diagnose Krebs. Heilung nicht mehr möglich. Eine solche Nachricht kann vernichten. Wolfgang Held stellte sich und griff dem Schicksal in den Rachen. Ganz niederwerfen sollte es ihn nicht.
Ist das nur Trotz? Ich denke, es ist vor allem Mut, sich der Herausforderung zu stellen. Er wusste, dass es vermutlich sein letztes Buch wird. Aber das wollte er noch schreiben, davon wollte er noch erzählen. Respekt!
Wolfgang Held, 1930 in Weimar geboren, stammt aus einer Arbeiterfamilie. Er beschreibt seine Herkunft so: Wir waren acht Personen in der 4-Raum-Wohnung einer Weimarer Mietskaserne, Jenaer Straße 20. Baujahr 1882, Plumpsklo und Kohleöfen. Mein Vater und meine Mutter, dazu die Geschwister meines Vaters, meine Onkel Jochen, Koch und an Politik so wenig interessiert wie an versalzener Suppe, dann Martin, Drogist und Deutschnationaler mit Hoffnung auf Rückgabe der afrikanischen Kolonien, dazu der hitzige Jungkommunist Rudi und Tante Lieselotte, die begeisterte Hitlerverehrerin. Eine hochbrisant Mischung.
In diesem engen Familienkreis war es vor allem Rudi, der den Jungen beeindruckte und auch politisch prägte. Dieser Onkel war 1938 in die Sowjetunion emigriert, wurde aber postwendend an Deutschland ausgeliefert. Das hat sein Weltbild zwar erschüttert, aber nicht völlig zerstört.
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